Rolle der Kirchenzugehörigkeit im Bewerbungsprozess – neues Urteil des Bundesverfassungsgerichts

Immer wieder werde ich gefragt, welche Rolle die Zugehörigkeit zur Kirche oder ein Austritt daraus bei Bewerbungen bei kirchlichen Arbeitgebenden spielt. Hier gibt es leider etwas ernüchternde neue Entwicklungen:

Das Bundesverfassungsgericht hat mit einem neuen Beschluss ein deutliches Signal gesetzt: Kirchliche Arbeitgeber dürfen bei Stellenbesetzungen unter bestimmten Voraussetzungen weiterhin die Zugehörigkeit zu ihrer Glaubensgemeinschaft verlangen. Für viele, die sich im sozialen, pädagogischen oder entwicklungspolitischen Bereich bewerben – also gerade auch für Mitglieder des beruflichen Netzwerkes Spinnen-Netz ArbeitMitWirkung, hat dieses Urteil weitreichende Folgen.

Was wurde entschieden?

Das Gericht bestätigte im Oktober 2025 das sogenannte kirchliche Selbstbestimmungsrecht. Danach dürfen Kirchen, Caritas, Diakonie und andere kirchliche Träger in ihrem Arbeitsrecht eigene Maßstäbe setzen – sofern die Religionszugehörigkeit „wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung“ ist.
Das bedeutet: Wenn der Glaube oder die religiöse Bindung für die konkrete Tätigkeit entscheidend ist – etwa in der Seelsorge, im Religionsunterricht oder bei Aufgaben, die das christliche Profil nach außen vertreten –, darf eine Mitgliedschaft verlangt werden. In anderen Fällen – z. B. bei Verwaltungs- oder IT-Stellen – muss die Kirche sorgfältig begründen, warum eine Kirchenzugehörigkeit relevant ist.

Der Hintergrund

Ausgangspunkt war die Klage einer Sozialpädagogin, die sich bei einem kirchlichen Träger beworben hatte, ohne Kirchenmitglied zu sein. Ihre Bewerbung wurde abgelehnt, worauf sie auf Gleichbehandlung klagte.
Die Vorinstanzen gaben ihr teilweise recht, verwiesen aber auf die komplexe Balance zwischen dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 WRV) und dem Diskriminierungsschutz nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG).
Das Bundesverfassungsgericht hat nun klargestellt: Beide Grundrechte müssen im Einzelfall abgewogen werden, aber die Kirche darf ihr Profil nicht verlieren – sie muss allerdings transparent machen, wann und in welchen Fällen Religion tatsächlich beruflich notwendig ist.

Was bedeutet das für Bewerber:innen?

Für viele Fachkräfte, die in kirchlichen Organisationen arbeiten möchten, bleibt die Lage differenziert:

  • Keine generelle Diskriminierung: Eine Bewerbung ohne Kirchenmitgliedschaft ist nicht automatisch aussichtslos.

  • Begründungspflicht der Arbeitgeber: Kirchliche Träger müssen darlegen können, warum Glaube oder Kirchenzugehörigkeit für die jeweilige Position wesentlich ist.

  • Recht auf Klärung: Bewerber:innen dürfen nachfragen, welche Rolle der Glaube im Alltag der ausgeschriebenen Stelle spielt – und wie das im Team gehandhabt wird.

  • Transparenz hilft beiden Seiten: Wer frühzeitig über Werte, Leitbild und Alltagspraxis spricht, vermeidet Missverständnisse.

Kritik und Reaktionen

Während die Kirchen das Urteil als „wichtige Klarstellung“ begrüßen, äußern Gewerkschaften und Antidiskriminierungsstellen Kritik. Sie warnen vor einem Rückschritt im Gleichbehandlungsrecht und fordern, dass der öffentliche Charakter vieler kirchlicher Einrichtungen stärker berücksichtigt werden müsse – schließlich werden große Teile von Caritas, Diakonie oder kirchlichen NGOs aus öffentlichen Mitteln finanziert.

Auch in der Zivilgesellschaft wächst der Wunsch nach gemeinsamen Werteorientierungen, die über konfessionelle Grenzen hinausgehen. Gerade in internationalen Projekten oder interreligiösen Teams gilt Vielfalt als Stärke – ein Aspekt, den viele Organisationen inzwischen auch in ihren Leitbildern betonen.

Fazit: Chancen durch Offenheit und Dialog

Das Urteil ist einerseits ein Rückschrittt gegenüber den Beschlüssen des Europäischen Gerichtshofes und stärkt erneut das Kirchenrecht. Es verpflichtet auf der anderen Seite kirchliche Arbeitgeber, bewusster zu begründen, warum Glaubenszugehörigkeit für eine Stelle relevant ist – und öffnet damit den Raum für mehr Transparenz.
Für Bewerber:innen im Spinnen-Netz bedeutet das: Wer sich für die Werte einer Organisation engagiert und sich mit ihrem sozialen Auftrag identifiziert, sollte sich von einer kirchlichen Trägerschaft nicht abschrecken lassen aber gezielt damit auseinander setzten. Ein offenes Gespräch über Glauben, Werte und Berufsethik kann Brücken bauen – und genau das ist im kirchlichen wie im zivilgesellschaftlichen Raum gefragt.

Abschließende persönliche Beobachtungen der NGO-Arbeitgebenden

Rückmeldungen, die ich aus Gesprächen mit Personaler:innen kirchlicher Träger habe sind, dass ein aktiver Kirchenaustritt oftmals stärker gewichtet wird, als keine kirchliche Zugehörigkeit. Oder Bewerbende mit beispielsweise muslimischer Glaubenszugehörgkeit bessere Chancen haben als Bewerbende, die aktiv aus einer christlichen Kirche ausgetreten sind. 

Wichtig: Das Urteil richtet sich nicht nur an die großen kirchlichen Wohlfahrtsverbände wie Caritas (katholisch) und Diakonie (evangelisch), sondern an alle Arbeitgeber, die sich auf das kirchliche Selbstbestimmungsrecht berufen können. Entscheidend ist dabei nicht die Größe der Organisation, sondern ihre rechtliche und inhaltliche Anbindung an eine Kirche oder Religionsgemeinschaft.

Sprich: Interessant ist also, welche NGO das Recht auf kirchliche Selbstbestimmung für sich beanspruchen kann, erkennbar z.B. daran, dass sie mit ihrem Vorstand oder Aufsichtsrat eine christlichen Wertekanon in ihre Satzung eingebaut haben.

Wahrscheinlich aber wird sich in den nächsten Monaten/Jahren nun aber auch nochmal der EUGH für Arbeitsrecht melden.

Das Spinnen-Netz ArbeitMitwirkung wird dieser Frage weiter nachgehen und das Feld beobachten. Denn der Anteil der NGOs, die sich nun auf dieses Urteil berufen können, ist groß.